Experten: Lob und Kritik für Menschenrechtspolitik
Berlin: (hib/SAS) Lob, aber auch deutliche Kritik für die Menschenrechtspolitik der Bundesregierung haben Sachverständige in einer der öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe am Montag geäußert. Gegenstand der Anhörung war der 15. Bericht der Bundesregierung über ihre Menschenrechtspolitik (20/4865), der den Zeitraum vom 1. Oktober 2020 bis zum 30. September 2022 abdeckt.
So begrüßte Monika Hauser, Vorstandsvorsitzende der Frauenrechtsorganisation medica mondiale, dass die Bundesregierung die Bekämpfung von sexualisierter Gewalt und geschlechtsspezifischer Gewalt in bewaffneten Konflikten endlich ernst nehme. Die Umsetzung einer feministischen Außen- und Entwicklungspolitik, zu der sie sich bekenne, könne dabei einen wichtigen Beitrag leisten. Allerdings müsse sie konsequent umgesetzt und der internationale normative Rahmen gestärkt und verteidigt werden, sagte die Sachverständige. Dieser sei in den vergangenen Jahren zunehmend unter Druck geraten, so Hauser in ihrer Stellungnahme mit Blick auf den Austritt der Türkei aus der Istanbul-Konvention. Um sexualisierte Gewalt in bewaffneten Konflikten zu bekämpfen, gelte es bei den strukturellen Ursachen anzusetzen und insbesondere die Zivilgesellschaft zu stärken. Gerade Frauenrechtsorganisationen und Aktivistinnen vor Ort müssten unterstützt werden.
Dies unterstrich auch Wenzel Michalski, Deutschland-Direktor von Human Rights Watch, gerade mit Blick auf die Situation in der Ukraine. Lokale Gruppen und Zivilorganisationen, die sich dort um Opfer sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt kümmerten, seien „wahnsinnig wichtig“. Doch es fehle ihnen oft an notwendiger medizinischer Ausrüstung. Von der Bundesregierung forderte Michalski daher konkret, sich in der Ukraine dafür einzusetzen, dass Überlebende von Vergewaltigungen Zugang zu Notfallverhütung wie Medikamente zur HIV-Prävention oder der „Pille danach“ erhielten. Diese dürfe nicht länger verschreibungspflichtig sein, sagte Michalski. Auch brauche es eine gute Ausbildung von Polizei und Staatsanwaltschaft, um für die Frauen unangenehme mehrfache Befragungen und Untersuchungen zu vermeiden.
Sabine Constabel vom Verein „Sisters - für den Ausstieg aus der Prostitution!“ kritisierte , dass der Bericht der Bundesregierung ausschließlich das Problem der Zwangsprostitution behandle, jedoch „keinerlei Darstellung der Situation der Prostitution in Deutschland“ liefere. Analysen zur Zwangsprostitution seien ohne Analysen der Prostitution jedoch „ungenügend“, monierte die Expertin. „Sie liefern keine Basis zur Bekämpfung des Menschenhandels, da sie den Nährboden von Zwangsprostitution nicht erfassen. Constabel forderte, die wertebasierte Außenpolitik der Bundesregierung auf “das Innere auszudehnen„. Es brauche konkrete Maßnahmen gegen Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung, darunter eine wirksame Strafverfolgung von Freiern, die Entkriminalisierung von Prostituierten und ein Verbot jeglicher Profite Dritter aus der Prostitution.
Claudia Kittel, Leiterin der Monitoring-Stelle UN-Kinderrechtskonvention, bemängelte das Fehlen grundlegender Strukturen, um Kinderrechte in Deutschland zu verwirklichen. So gebe es noch immer kein kinderrechtebasiertes Datenerhebungsverfahren, mit dem sich der Stand der Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention adäquat anhand von Indikatoren messen lasse. Auch auf die Schaffung einer Stelle eines oder einer Bundes-Kinderbeauftragten, der oder die die Umsetzung der Kinderrechtskonvention “mit Autorität koordiniere„ drängte Kittel: Gerade vor dem Hintergrund der Erfahrungen in der Coronapandemie sei die Einrichtung einer solche Stelle “dringend geboten„.
Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen, sah eine deutliche “Leerstelle„ des Berichts zur Menschenrechtspolitik darin, dass dieser die Digitalüberwachung als “eine der größten Bedrohungen der weltweiten Pressefreiheit„ fast nicht behandelt. Auch schweige der Bericht dazu, dass der Markt für diese Technologien, darunter auch deutsche Anbieter, “weitestgehend unreguliert„ sei. Mihrs Appell: Die Bundesregierung solle sich endlich auf UN- und EU-Ebene für einen verbindlichen Rechtsrahmen einsetzen. So lange es diesen nicht gebe, brauche es ein Moratorium für Verkauf, Weitergabe und Nutzung von Überwachungstechnik.
Norman Paech, emeritierter Professor für öffentliches Recht, Schwerpunkt Verfassungs- und Völkerrecht, an der Universität Hamburg, machte in seiner Stellungnahme eine “große Kluft„ zwischen dem Menschenrechtsanspruch der Bundesregierung und ihrer praktischen Politik aus. Trotz “hehrer Worte„ überwiege letztlich die “konzessionslose Interessenpolitik„, so das Urteil des Sachverständigen, der unter anderem deren Sanktionspolitik sowie wie Waffenlieferungen in Krisengebiete kritisierte. Solche Entscheidungen stellten eine an Menschenrechten orientierte Außenpolitik in Frage.
Erika Steinbach, Vorsitzende der Desiderius-Erasmus-Stiftung, kam angesichts des Berichts zu der Einschätzung, die Bundesregierung überhebe sich an “ihren hehren Postulaten„. Ob “Toilettenversorgung, Covid-Impfstoffe, Feminismus oder Standards für angemessenes Wohnen„ - es gebe kaum ein Themenfeld, für das sich die Bundesregierung nicht weltweit einsetzen wolle. Dabei schaffe es die Bundesregierung schon nicht, die Wohnungsversorgung in Deutschland sicherzustellen. Kritik äußerte Steinbach auch an der feministischen Ausrichtung der Außen- und Entwicklungspolitik: Diese ignoriere die Würde eines jeden anderen Menschen.
Monika Remé, Referentin für internationale Gleichstellungspolitik beim Deutschen Frauenrat, lobte hingegen das Vorhaben der Bundesregierung, Gleichstellung von Frauen und Männern bis 2030 zu verwirklichen. Dafür allerdings müssten die strukturellen Elemente der Gleichstellungspolitik endlich verzahnt werden. Das sei aber noch nicht der Fall, so die Expertin. Es gebe noch keinen verbindlichen “Gleichstellungs-Check„ aller Gesetze und Vorhaben, wie im Koalitionsvertrag eigentlich beschlossen. Eine ressortübergreifende Gleichstellungsstrategie fehle und eine geschlechtergerechte Haushaltsführung werde ebenfalls noch kaum auf Bundesebene umgesetzt, so Remé in ihrer Stellungnahme.